Ein gigantisches Bahnbau-Projekt vor 80 Jahren

März 2020

Die im Jahre 1888 eröffnete Bahnstrecke von Bad Reichenhall nach Berchtesgaden, für die die Berchtesgadener jahrzehntelang gekämpft hatten, war den nationalsozialistischen Machthabern schon lange nicht mehr gut genug. Um mit den sog. „Führersonderzügen“ nach Berchtesgaden zu gelangen, war ihnen die als „Nebenbahn“ klassifizierte Strecke ab Bad Reichenhall mit ihrer kurvenreichen Steigung zum Pass Hallthurm und den vielen unbeschrankten Bahnübergängen viel zu langsam. 

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Als Erstes musste der Tristramtunnel, der in einer Kurve lag, abgerissen werden.

Denn schon Mitte der 30-er Jahre tauchten am Berchtesgadener Bahnhof luxuriöse Sonderzüge mit verschiedenen Decknamen auf.  Hitlers Sonderzug hieß AMERIKA, später POMMERN, Görings Sonderzug hieß ASIEN, später BRANDENBURG, Ribbentrops Sonderzug nannte sich  AFRIKA und der des Luftwaffen-Oberkommandos ROBINSON. Nur die Sonderzüge von Himmler und Keitel hatten keine Decknamen. Für die auserkorene „Alpenfestung Obersalzberg“ und dieses gewaltige Verkehrsaufkommen musste also dringend ein leistungsfähigerer Bahnanschluss her! Und der sollte als 2-gleisige Hauptbahn Richtung Salzburg mit Einschleifung bei Salzburg-Elsbethen in die Tauernbahn realisiert werden; Österreich war ja schließlich bereits „angeschlossen“. Der Vorteil: die Regierungssonderzüge aus Richtung Norden hätten ohne Fahrtrichtungswechsel und Zeitverlust über Salzburg Hbf. direkt nach Berchtesgaden fahren können.

So wurde 1937 das alte Bahnhofsgebäude, das damalige Post- und Telegrafenamt sowie das Bahnhofshotel der Familie Grafl kurzerhand abgerissen, um einem – für heutige Verhältnisse – gigantischen Bahnhofsgebäude nebst Postamt Platz zu machen. Am 29. März 1939 feierte man mit großem Aufmarsch das Bahnhofsrichtfest und etwa zu gleicher Zeit wurde bereits an dem 240 Meter langen, östlich davon gelegenen, 2-gleisigen Tunnel gebaut. Dazu mussten darüber das Hotel „Krone“ mit Eislaufplatz (am heutigen Buchwinkler-Parkplatz), das Hatzlhaus und die Hanserer-Kapelle weichen. Der Tunnel wurde teilweise in bergmännischer, teilweise in offener Bauweise errichtet. Der gesamte Abraum wurde mit Feldbahn-Loren zum Anzenbachfeld transportiert, denn dort sollte ein ganz neuer Güter- und Verladebahnhof für den Obersalzberg entstehen.

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Nach Fertigstellung des Tunnels im Jahre 1940 (siehe die in Stein gemeißelte Tafel am westlichen Tunnelportal) verlegte man bis zum Salzbergwerk bzw. Anzenbachfeld  durch den neuen Tunnel bereits ein edleres und der späteren Hauptbahn entsprechendes Gleis. Dieses Gleis diente danach jahrelang dem Salzbergwerk als Industriegleis und auch das Hofbräuhaus erhielt einen Gleisanschluss daran. Sogar die Oberleitung wurde bereits durch den Tunnel verlegt.

Der weitere Verlauf der 2-gleisigen Hauptbahnstrecke bis Salzburg-Elsbethen lässt sich detaillierten Plänen jener Zeit entnehmen. So hätte die Strecke nach dem Anzenbachfeld beim „Hammerer-Anwesen“ die Berchtesgadener Ache überquert, hätte den Bergrücken entlang des Bergbaches durchschnitten (alle dortigen Häuser und das Seppenlehen hätten weichen müssen!), hätte den Kilianberg teilweise unterquert und wäre dann ab dem Ludlerfeld Richtung Schellenberg oberirdisch entlang der 1939 gebauten, neuen breiten Straße verlaufen. Auch nördlich von Schellenberg wäre noch einmal eine größere Untertunnelung nötig gewesen.

Doch zu all dem ist es durch den Kriegsausbruch nicht mehr gekommen. Viele werden heute sagen: „Gott-sei-Dank“, andere mögen dies bedauern. Doch wie wäre nach dem Zweiten Weltkrieg der deutsche Korridorverkehr nach Berchtesgaden über österreichisches Territorium in der Praxis von statten gegangen? Dafür darf man heutzutage von einer „Stadt-Land-Bahn“ vom österreichischen Mondsee zum Königssee träumen! Ob der Traum wohl jemals Realität werden wird?

Abbildungen: Bildarchiv Herbert Birkner
Quellen: Manfred Angerer und Herbert Birkner: 120 Jahre Bahngeschichte Berchtesgaden, 2009
Berchtesgadener Schriftenreihe Nr. 26

Manfred Angerer