Erste Gesprächsrunde zum Umgang mit dem historischen Kehlsteingebiet eröffnete am 19. Mai neue Sichtweisen

22.05.2009

Mitglieder des Obersalzberg Instituts e.V. trafen sich zu einer Erörterung der Frage zum aktuellen Umgang mit dem historisch geprägten Kehlsteingebiet. Eine "Entsorgung der Geschichte" schien den Beteiligten durchweg keine sinnvolle Lösung zu sein. Themen wie der Naturschutz und eine touristische Nutzung bei gleichzeitiger geschichtlicher Aufklärung standen im Vordergrund. Eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema wurde für Donnerstag, den 28. Mai 2009, 19.30 Uhr im Gasthof Goldener Bär (Saal im 1. Stock) angekündigt.

 

Mitglieder des Obersalzberg Instituts e.V. (in der Folge als "OI" beteichnet) trafen sich am Dienstag, den 19. Mai 2009 zu einer Erörterung der Frage zum aktuellen Umgang mit dem historischen Kehlsteingebiet. Im Vordergrund standen Informationen der Bayerischen Staatsforsten, wonach Teile des historischen Straßennetzes zwischen Ofnerboden und Ligeretalm zwecks Ausbau des forstlichen Wegenetzes abgetragen werden sollen. Anwesend waren unter anderem Gemeinderatsmitglieder verschiedener Parteien aus der Region, der Vorsitzende der Ortsgruppe des Bund Naturschutz in Bayern e.V., Paul Grafwallner, Mitglieder der in den 1990er Jahren entstandenen Bürgerinitiative zur Errichtung einer Dokumentation (u.a. Architekt Kurt Smetana) sowie die Leiterin der Dokumentation Obersalzberg, Linda Pfnür. Der 2. Vorsitzende des Obersalzberg Instituts, Florian M. Beierl, eröffnete in einem Lichtbildervortrag Details zur Baugeschichte und zur Baubeschaffenheit der Straßen und Wege rund um den Kehlstein, sowie Einzelheiten zum damaligen Wild- und Vogelschutzgebiet und zur Verbindung der Ideologie des Nationalsozialismus mit dem Naturschutz. Im Anschluss fand eine konstruktive Diskussion statt, deren Inhalte und Aussagen hier auszugsweise erscheinen:

Für das Areal um den Kehlstein sollte ein Ensembleschutz geprüft werden: Geschichte und Natur ergänzen sich hier landschaftlich durch einen von totalitärer Idee geprägten Naturschutz- und Naturbeherrschungsanspruch. Die bereits durch das OI ans bayerische Landesamt für Denkmalpflege geleitete Begründung (bislang ohne Antwort, siehe "News" vom 24.04.2009) nahmen die Anwesenden zur Kenntnis. Demnach kann die Idee der Nationalsozialisten, das Projekt Kehlstein Adolf Hitler zum 50. Geburtstag zu überreichen, als systemtypisch für das Streben nach Unterordnung und Bezwingung der Natur mittels der damals insbesondere durch den "Reichslandschaftsanwalt" Prof. Alwin Seifert und Dr. Ing. Fritz Todt vertretenen "naturnahen" Straßenbau-Ideologie gelten. Die Kehlsteinstraße gehört demnach laut OI zu den bundesweit klarsten Realisierungen dieser spezifisch nationalsozialistischen Straßenbauphilosophie. Die politische Bedeutung des Kehlsteinhauses als Ort der NS-Machtrepräsentation, sowie die damalige Einzäunung des 699 Hektar großen Geländes als Sicherheitszone und durch Fahrstraßen erschlossenes Vogelschutzgebiet ergänzen sich in dieser "Denkmallandschaft" auf besondere Weise. Das gesamte Gelände kann also in gleichem Maße wie die Dokumentation Obersalzberg als ein Lernort - oder ein "Denkort" betrachtet werden, wird aber auch unabhängig davon gerne von Bergwanderern und Radsportlern touristisch genutzt. Die Diskussionsteilnehmer regten auch die Idee einer Beschilderung des Areals an. Wissenschaftlich ausgearbeitete Informationen könnten den Wanderer, Radfahrer und Geschichtsinteressierten ein besseres Bild vermitteln. Schließlich würden durch das Kehlsteingebiet jährlich hunderttausende Touristen zum Gipfel gefahren, wo man der Geschichte ebenfalls mit Informationstafeln begegnet.

Kehlsteinhaus und die Kehlstein-"Bergstraße" sind nach dem Bericht von Florian Beierl bereits seit 1978 mit einer Reihe anderer historischer Orte am Obersalzberg (Berghofruine, Bunkeranlagen, Atelier Speer, Haus Waltenberger u.a.) als Denkmale anerkannt, wurden aber aufgrund eines Übereinkommens zwischen dem Kultusministerium und dem Landesamt für Denkmalpflege kurioserweise nicht in die zur Veröffentlichung vorgesehene Liste der Bau- und Bodendenkmäler Oberbayerns aufgenommen, weil man befürchtete, das sich daraufhin dort "Weihestätten" bilden würden. Nach dem Abriss des Denkmals Platterhof musste sich der Kultusminister vor dem Bayerischen Landtag dazu rechtfertigen und bestätigte die Denkmaleigenschaft des Gebäudes, wie auch die Verfahrensweise hinsichtlich der Nichtveröffentlichung dieser Denkmale (Vgl. 14. Wahlperiode Drucksache 14/4143). Die Information, dass auch das Kehlsteinhaus und die "Bergstraße" Denkmäler sind, habe die Behörde im Jahre 2001 verbindlich an Herrn Dr. Timothy W. Ryback (Institutsleiter des OI seit 2003) gegeben. Dass die Öffentlichkeit hiervon kaum etwas weiß, erschien den Beteiligten der Diskussion rätselhaft.

Behörden sollten durch Aufklärungsarbeit des Obersalzberg Instituts über die historischen Hintergründe des Projekts Kehlstein und vor allem über die heute nicht mehr sichtbaren, 1938 mit Gras überpflanzten Hangsicherungsbauten unmittelbar entlang der Erschließungsstraßen aufgeklärt werden, weil diese wahrscheinlich mangels Originalfotografien nicht bekannt sind.

Der Obersalzberg wird allgemein von der Regional- und Landespolitik so überaus sensibel gehandhabt, dass neue Ideen und Entwicklungen oft durch die Einwände von Bedenkenträgern im Sande verlaufen. Man wünscht sich hier einen weniger verkrampften Umgang.

Der ökonomische Sinn der kostenaufwändigen Abtragung der Straßen (angeblich wird die Entsorgung des teerbelasteten Schotters alleine 400.000 EUR kosten) und die anschließende Verbreiterung und Aufsandung schwerlastfähiger Forststraßen im Bereich mehrerer Kilometer sollte kritisch hinterfragt werden. Hierbei kam zur Sprache, dass so genannte schwerlastfähige Waldwege erheblich mit EU-Mitteln bezuschusst werden und dies einer der Gründe dafür sein könnte, warum man die seit 1938 geteerten und mit Naturstein ausgebauten Erschließungsstraßen am Kehlstein nun abtragen und verbreitern will. (Vgl. 7904-L Richtlinie für Zuwendungen zu Maßnahmen der Walderschließung im Rahmen eines forstlichen Förderprogramms, 2007). Ferner gäbe es Fälle, in denen nach dem Ausbau eines solchen Wegenetzes nur ein- oder zweimal Holz geerntet wurde. Der Einsatz von Holzseilbahnen wäre als Alternative zu bedenken. Ob der Schutzwald rund um den Kehlstein überhaupt so ertragreich sei, dass sich eine solche Investition lohne, wurde ebenfalls hinterfragt. Die Bedeutung des Kehlsteingebiets im Rahmen des Biosphärenreservats und als Vorbereich des Alpennationalparks sollte geprüft werden.

Eine Abtragung der Erschließungsstraßen mit anschließender Verbreiterung und Sandbelag dürfte für Wanderer und Radfahrer nach Ansicht einiger Diskussionsteilnehmer keine Vorteile bringen. Durch die vom Forst gewünschte Verbreiterung (die fast ausschließlich bergseitig möglich ist) würden die 1938 mit Gras überpflanzten Stabilisierungsbauwerke aus Naturstein mit hoher Wahrscheinlichkeit herausgerissen, was zu Erosion bei den Böschungen führen könnte. Das wurde beim Vortrag von Florian Beierl durch bautechnische Fotografien aus der Entstehungszeit sehr deutlich. Landschaftlich bewusst angeordnete Findlinge und Begrenzungssteine würden abgeräumt und das landschaftliche Bild würde insgesamt unter Umständen erheblich leiden. Kritisch wurde vor allem der zukünftige Unterhalt der Straßen betrachtet. Die letzten 70 Jahre hielten die Beläge bei gelegentlicher Ausbesserung sehr gut, Sandwege wären im Hochgebirge extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt, dazu kommt noch der Holztransport. Mitunter könnte die Nutzung der geteerten Erschließungsstraßen für Radfahrer sogar sicherer sein, als bei witterungsgeschädigten Forstwegen.

Abschließend waren sich die Teilnehmer an dem Gespräch einig: Es werden drei Interessensbereiche berührt, die miteinander in einem vernünftigen Konzept realisiert werden sollten:

Tourismus (u.a. Landschaftsschutz, gut begehbare Wege)
Geschichte (u.a. transparente Aufklärung auch außerhalb der Dokumentation)
Wirtschaft (Forst- und Tourismuswirtschaft im Einklang mit dem Denkmalschutz)

Eine "Entsorgung der Geschichte" schien den Beteiligten durchweg keine sinnvolle Lösung zu sein.

Eine erneute Diskussion der Frage zum Schutz des Kehlsteingebiets wurde für Donnerstag, den 28. Mai 2009, 19.30 Uhr im Gasthof Goldener Bär (Saal im 1. Stock) festgelegt.