Haferlschuh oder Allgäuer?

Oktober 2016
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Neuerer Allgäuer

Der Haferlschuh ist der Schuh, der zu jeder bayrischen Tracht gehört. Aber seltsamerweise heißt er in Berchtesgaden Allgäuer, und zwar nur dort. Im Allgäu heißt er Bundschuh. Seltsam.

Zum Haferlschuh: Seine erste namentliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1826. Er ist aber sicher älter. Frühe Fotos zeigen ihn mit Holzsohle, die man selbst schnitzen konnte, was bei Reparaturen billiger kam. Zum Namen gibt es verschiedene Erklärungen:
1. Manche meinen er käme von "half shoe". Englische Touristen wären so begeistert gewesen von der halbhohen Alternative zu Stiefeln, dass sie ihm diesen Namen gegeben haben.
2. Eine Erklärung sagt, der Name käme daher, dass der Schuh aus einem Stück Leder "getrieben" wird, wie man in der Matallbranche sagen würde, so wie ein eisenes Haferl. Aber das würde ja für viele Schuharten gelten.

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genagelter Schrattschuh 1938

Zum Allgäuer: Der Schuhmachermeister Schratt in Oberstdorf im Allgäu veränderte den bis dahin klobiggen Arbeitsschuh im Jahr 1803. Der Schuh wurde schmäler und eleganter. Charakteristisch waren die seitliche Schnürung, die Vertiefung in der Mitte des Schuhs in Höhe des Knöchels und die "Haifischnase", eine Spitze wie ein Schiffsbug. Letztere wird heute nur noch angedeutet, da sie die industrielle Fertigung nicht mehr erlaubt. Der Schrattsche Haferlschuh trat vom Allgäu aus seinen Siegeszug an. Schratt wurde auch königlich bayrischer Hoflieferant.

Warum aber heißt er in Berchtesgaden Allgäuer? Und zwar nur hier, laut  Claus Dräxlmaier von der Fa. Meindl?  Die von außerhalb Berchesgadens kommende Vermutung, ein Allgäuer Schuhmacher könnte nach Berchtesgaden gekommen sein und den Schuh populär gemacht haben, ist bei Kenntnis der Mentalität Berchtesgadener Trachtler unwahrscheinlich. Ein Allgäuer, der hiesigen Trachtlern anschafft, was sie zu tragen haben? Der Gedankengang, ein Berchtesgadener könnte beim Schuhmacher Schratt gelernt und die Allgäuer Form in seine Heimat mitgebracht haben, wird von Franz Schratt, dem heutigen Inhaber des Allgäuer Familienbetriebs für plausibel gehalten. Die Firma Schratt hatte bis zu 100 Beschäftigte und Lehrlinge, die von überall her kamen. Leider gibt es keine Lehrlingsverzeichnisse mehr von früher, in denen man nachforschen könnte, ob da ein Berchtesgadener dabei war.

Man wird wohl nie erfahren, wann und durch wen der Allgäuer nach Berchtesgaden kam. Für den derzeit wohl ältesten noch lebenden Schuhmachermeister Berchtesgadens, der 1945 seine Schumacherlehre angetreten hatte, gab es immer nur nur den Allgäuer. Verwirrend ist, dass 1943, zwei Jahre vorher, im Buch "Die Tracht des Berchtesgadener Landes" Männer Schuhe ohne Haifischnase tragen, die dort Haferlschuh heißen.

Quellen:
Mündliche Informationen der Herren Schratt, Dräxlmaier und Bertl
Bertl/Sternke: Der Haferlschuh, Heel Verlag
Zaborsky-Wahlstätten: "Die Tracht des Berchtesgadener Landes"

Gernot Anders