Die Altarbibel in der Christuskirche

Juni 2023

Kaiserin Auguste Victoria, die erste Gemahlin des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. verbrachte den Sommer 1899 im Grand Hotel in Berchtesgaden, das nach Plänen von Architekt August Brüchle ein Jahr zuvor fertiggestellt und mit allem Komfort ausgestattet worden war.

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kaiserliche Bibel

Während des Aufenthalts stand das ganze Hotel exklusiv der Kaiserin, ihren Kindern und dem zahlreichen Begleitpersonal zur Verfügung.

Pfarrer Sommermeyer, der von Bad Reichenhall aus, auch die evangelische Gemeinde in Berchtesgaden betreute, meldete sich beim Oberhofmeister, Ernst Freiherr von Mirbach, an und übergab ihm eine Einladung an die Kaiserin und ihre Kinder zur Einweihung der neuerbauten Christuskirche. Auf Empfehlung des Pfarrers sollte eine Altarbibel gestiftet werden. Am 17. Juli 1899 teilte Freiherr von Mirbach dem Geistlichen mit, „dass I. Majestät der evangelischen Kirche hierselbst eine Bibel schenken wird. Ich werde Ihnen demnächst den Spruch mitteilen, welche Majestät in die Bibel einschreibt.“

Die gestiftete Altarbibel ist in hellgelbes, mittlerweile nachgedunkeltes, Leder gebunden und zeigt auf den höchst kunstvoll ausgeführten Mattsilberbeschlägen ein gleichschenkeliges Kleeblatt-Kreuz. Die darauf abgebildeten Pflanzen, versinnbildlichen die, durch Christi Auferstehung vollzogene Wandlung des Kreuzes vom Baum des Todes, zum Baum des Lebens. In den vier Ecken sind die namentlich genannten und mit Flügeln versehenen Symbole der Evangelisten (Tetramorph): Matthäus, der durch einen Menschen, die Menschwerdung; Lukas, der durch einen Stier, den Opfertod; Markus, der durch einen Löwen, die Auferstehung und Johannes, der durch einen Adler, die Himmelfahrt Christi veranschaulicht. Zum Löwen muss man wissen, dass man in der frühen Christenheit glaubte, Löwen kämen tot auf die Welt und erst ihr Vater erweckt sie, wie Gottvater Christus, am dritten Tag mit seinem Atem zum Leben. An der Unterseite der Bibel sind vier silberne Auflageknöpfe angebracht. Das Buch ist mit einem silbernen Metallbügel verschlossen. Schlägt man auf den Vorderdeckel, dann springt der Bügel auf. Von daher leitet sich der Begriff „ein Buch aufschlagen“ ab.  Bis auf ein gestochenes Porträt Martin Luthers und der faksimilierten Unterschrift des Reformators, ist die Bibel ohne Bilder. Sie wurde 1898 in Halle a.S. gedruckt.      

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Bibeleintrag der Kaiserin

Auf der ersten Innenseite befindet sich die persönliche Inschrift der Kaiserin:

„Der evangelischen Kirche in Berchtesgaden zur Einweihung am 30. Juli 1899.

Jes. 54, 10: Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen, spricht der Herr dein Erbarmer. Auguste Viktoria I.R.“

Wunschgemäß legte Pfarrer Sommermeyer diesen Text seiner Predigt zugrunde.

Am 25. Juli 1899 teilte der Oberhofmeister mit, dass die Kaiserin in St. Bartholomä einen Unfall erlitten und sich am Bein verletzt hatte und an der Einweihung nicht teilnehmen kann.

Einige Jahre nach diesem Aufenthalt bezeichnete man das Grand Hotel auch als „Kaiserin Augusta Viktoria Kurhaus“. Allerdings hat es nie eine „Augusta Viktoria“ gegeben, denn die Kaiserin hieß „Auguste“. Augusta war die Gattin Kaiser Wilhelm I., die aber nie in Berchtesgaden weilte und auch nicht mit zweiten Vornamen „Viktoria“ hieß.

Alfred Spiegel-Schmidt