unverschämt? Oder bloß odampt?

September 2017

2017 feiert das Bergwerk Berchtesgaden sein 500-jähriges Jubiläum. Hier ein Beitrag des Heimatkundevereins aus der Fundgrube der Geschichte:

Bergwerk-klein.jpg

Foto: Archiv Salzbergwerk

Brief von Olga Rosenzweig, Privatiersgattin aus Galizien, veröffentlicht im "Grenzboten" am 21. August 1890.

"Ueber die mir in Berchtesgaden wiederfahrene Behandlung noch vor Aufregung zitternd, erlaube ich mir, Sie um gütige Aufnahme der nachstehenden Zeilen in Ihr geschätztes Blatt zu ersuchen:
Ein jeder kennt wohl das über alle Beschreibung unschöne, den primitiven Ansprüchen des Geschmackes und der Mode widersprechende Damenkostüm, welches man beim Besuche des Salzbergwerkes in Berchtesgaden den Damen aufzwingt und in welchem diese zum Gaudium einzelner sittlich verkommener Touristen und anderer dort herumlungernder, verrohter Leute die Straße vom Zechenhaus zum Stolleneingang überschreiten müssen. Bei meinem Embonpoint (= Körperfülle Red.) und dem Unsinn, sich in kurze, höchst unkleidsame weiße Höschen zwängen zu müssen, war es wohl möglich, daß meine Erscheinung sowie auch jene der mitgehenden zwei jüngeren Damen sich nicht ganz vorteilhaft präsentierte: dies berechtigte aber durchaus nicht jenen bachstelzenartigen Menschen mit der roten Touristennase und der langen Feder auf dem Hute, der sich unverschämt vor dem Zechenhause aufgepflanzt hatte, zu der laut, beinahe schreiend gemachten Bemerkung, ich gleiche einem halb gefüllten Luftballon, den man anbinden soll, damit er nicht davonfliege. - Diesem kecken Attentate auf die Ehre einer wehrlosen Dame gegenüber beantrage ich ernstlich folgende Einführung:
1. Entferne man vor der Einfahrt und der Ausfahrt der Damen in das, bzw. aus dem Bergwerk alle Männer aus der Nähe des Stolleneingangs, oder
2. man stelle beim Zechenhause zum Schutz der Damen einen Polizisten auf, welcher derartige freche Gesellen wie der geschilderte, sofort festnimmt,
3. man sorge für ein neues, den Ansprüchen der Mode entsprechendes Damenkostüm, und
4. man stelle jenen Damen, die es wünschen, zur Fahrt in das Bergwerk Halblarven zur Verfügung."

Vor der Vergessenheit bewahrt durch Helmut Schöner in "Berchtesgadener Fremdenverkehrs-Chronik 1871 - 1922", Berchtesgadener Schriftenreihe des Heimatkundevereins, Nr. 9.

Ob aufgrund dieses Briefes oder auch nicht: Das Damenkostüm wurde im Laufe der Zeit mehrmals verändert. (Siehe Foto auf der rechten Bildleiste)
Gernot Anders