Woran denken Sie beim Enzian?

Juli 2023

Die Botaniker unter uns werden bei dieser Frage förmlich „aufblühen“; wenn sie an die zahlreichen  Enzianarten denken, die in unseren Berchtesgadener Bergen erfreulicherweise noch anzutreffen sind. Andere wiederum denken sogleich an unser heimisches Destillat vom „Grassei“ und seinen Wahlspruch „Zeit lassen – Enzian trinken“.

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Flaschenetikett der Brennerei Weiß

Die Enzian-Brennerei Grassl ist zweifellos eine der Botschafterinnen unseres Berchtesgadener Landes und ihre Erzeugnisse sind weithin bekannt und geschätzt. Man könnte doch glatt an einen „Alleinvertretungsanspruch“ denken.

Doch das war nicht immer so, selbst wenn sich Grassl auf das seit 1620 von den Fürstpröpsten verbriefte Recht  aufs „Wurzngraben“ berufen kann. Es gab im Berchtesgadener Land seit der Zugehörigkeit zum Königreich Bayern von Bischofswiesen (Brennerbascht) bis Schellenberg und auch in Berchtesgaden selbst weitere Inhaber von Brennrechten. Allerdings besaßen diese keine verbrieftes Recht zum Wurzngraben, weshalb sie dieses Rohprodukt von Grassl zukaufen mussten -  zweifellos ein Wettbewerbsnachteil. Dafür destillierten sie auch andere Produkte, z. B. Beeren. Denn man muss außerdem wissen, dass früher der Alkoholkonsum in Form von Schnaps größer war als heutzutage. So wird berichtet, dass im 19. Jahrhundert es Brauch war, nach dem sonntäglichen Kirchgang ein Ausschankstüberl aufzusuchen und zu einem „Loabi“ oder einer Semmel ein Stamperl Schnaps zu verzehren. Bier und v. a. Wein waren vergleichsweise zu teuer.

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Wein- und Enzianstüberl Weiß

Eines dieser Ausschankstüberl im Markt war das des Enzian- und Schnapsbrenners Josef Weiß vom Doktorberg, ein in der Berchtesgadener Geschichte berühmten Persönlichkeit. Das Stüberl befand sich im Haus des früheren „Huaterer Kurz“ (Hutmacher), dort wo sich heute der Durchgang zur Metzgergasse befindet. Josef Weiß verkaufte allerdings schon 1920 das Enzianstüberl an den Augsburger Otto Schuster, der es zusammen mit dem daneben befindlichen Kolonialwarengeschäft noch bis 1959 weiter betrieb. Doch den Weiß`schen Enzian gab es weiterhin dort im Geschäft zu kaufen bzw. nebenan im Stüberl im Ausschank. Nicht nur bei den Einheimischen, nein auch bei den Amerikanern als anfängliche Besatzer und spätere Erholungsgäste Berchtesgadens (US-Recreation Area) war diese originelle Lokalität äußerst beliebt.

Ein Foto vom Eingang des Wein- & Enzian-Stüberls ist überliefert und auch noch ein wunderschönes Flaschenetikett der damaligen Enzianbrennerei Josef Weiß vom Doktorberg. - Beides eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten.

Manfred Angerer